Grautheorie

Zur ästhetischen Theorie der unbunten Farben – 2015

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
    1. Die fundamentalen Fragen
    2. Die Neuzeit
    3. Der Ausdruck der dunklen Seite des Fortschritts
    4. Die Postmoderne
  2. Empirisch-experimenteller Teil
    1. Versuch einer harmonikalen Beurteilung der unbunten Farben
    2. Die stofflichen Voraussetzungen – Technisches zur Herstellung der Grauwerte
    3. Gesamtdarstellung der Kreiselversuche
  3. Die gesellschaftliche Bedeutung
    1. Der Kulturtypus
    2. Die kritischen Momente der Phasenübergänge
    3. Die rationale Geisteshaltung und ihre Folgen für die ästhetische Grundlagenverschiebung
    4. Die neuzeitliche Ästhetik
  4. Einige Gedanken zum kulturellen Wandel
    1. Der endogene Ausdruckszwang der latenten Utopie der Gesellschaft
    2. Der vorrationale-sinnfällige Zugang zu den Wesensmerkmalen der Zeit
  5. Das Unbehagen in der Kultur als Anlass zum anarchischen Aufbegehren in der negativen Ästhetik
  6. Die Übersetzungsfrage, oder das Problem der medialen Übertragung
  7. Autonomie der Mittel
  8. Das dreigliedrige Schema
  9. Das Dilemma der Moderne
    1. Das Farbgesetz, das uns Einblick in die Ordnung der Ordnung der Wirklichkeit der Welt gestattet. Die inhaltlich thematische Besetzung des Mediums mit dem Desiderat des neuen Grundlagenwissens. Die Kunst, welche die neue Wirklichkeitsdeutung durch ihre Geistesgegenwart in der Verfassung des bildnerischen Mittel zum Ausdruck bringt/verkörpert.
  10. Zusammenfassung
  11. Anhang
  12. Quellenverzeichnis


Die Formel für Alles ( ein Kommentar )

Der Quellcode einer systemrelevanten deterministischen Kunstauffassung. Sie folgt der bildnerischen Absicht am heute als autonom geltenden Medium der Malerei (am Informationsgehalt seiner Wahrnehmung) im Sinne der Denkungsart des wissenschafts-gelenkten Kulturtypus, die ästhetische Qualität formal-logisch aufzuklären und in diesem Zuge mit den geltenden Wahrheitskriterien zu besetzen, die diese Mentalität an der Natur und an sich selbst in Erfahrung gebracht hat.

Das bedeutet, dass jener Bestand des stufenlos wahrgenommenen komplementären Ganzen des optischen Fensters – welches seinerseits ausschnitthaft aus der gesamten Bandbreite der elektromagnetischen Strahlung (metaphorisch betrachtet) für das Ganze steht, sozusagen ein pars pro toto – dass diese Gestalt des Kontinuums an sich unter Berücksichtigung der allgemeinen Prinzipien sowie der Naturgesetze auf die ihr innewohnende werthaltige Ordnung untersucht und bestimmt werden musste.

Wesentlich dabei ist die Nachahmung der zeitgemäßen Vorstellung von der Selbstorganisation des Seins.

„Natur ist, was sich selber macht“, befindet bereits Aristoteles, wobei wir heute von der modernen Kosmologie gelernt haben, dass bei diesem Prozess der Selbstschöpfung das imaginäre Ziel, das thermodynamische Gleichgewicht, angestrebt wird. Der Vorgang folgt dem Gesetz der Entropie (welches schon auf halbem Wege dahin Allem mitgeteilt ist, also auch dem Geschehen der mittleren Dimension, der wir angehören).

Mit dem Kehrwert des Gesetzes hat Schrödinger die Formel für das Leben gefunden. Für ihn ist Leben mit dem Begriff der Negentropie verbunden. Es ist der unbelebten Natur gegenüber gestellt. Ähnliches gilt für eine angemessene Darstellung der Doppelstrategie einer ganzheitlichen Wahrheitsermittlung, der sehr unterschiedlich anmutenden Erkenntnisvermögen von wissenschaftlicher und künstlerischer Weltdeutung. Einerseits die empirische Vorgehensweise mit der logischen Struktur des linearen Ursache-Wirkung-Denkens an einem separierten Sachverhalt, und andererseits dessen Nachahmung in einer rationalen Gesinnung des Künstlers zwecks Aufklärung der logischen Struktur der ästhetischen Disposition an seinem ganzheitlich wahrnehmenden Lichtsinn, welcher Kreisprozessen Folge leistet.

Diese ahnungsvolle Ambiguität der gegenseitigen Bedingtheit des Erkenntnisvermögens des Verstandes und des sinnlichen Erlebnisses – ihr verborgener tieferer Sinn in der Arithmetik der ganzen Zahlen – führte mich methodologisch zu dem „messbaren Einklang“, zu der werthaltigen Ordnung der Stufen des Systems der unbunten Farben.

An diesem einfachen optischen Gleichnis von der Reziprozität der Entropie und der Negentropie offenbart sich mir die sensualisierte Prämisse von „Mitte und Maß“, das Ergebnis aller Wechselwirkungen der komplementären Dialektik der farblichen Gegensätze. An ihrem ausgewogenen Gleichgewichtszustand zeigt sich das „Mehr als die Summe der Teile des Ganzen“. Mit diesem gemeinsamen Nenner haben wir die imaginäre Ausrichtung, die zentrale Funktion aller Wechselwirkungen der unterschiedlichen Potentiale der Teile des Ganzen, wie sie in Bezug aufs Ganze angelegt sind, vernommen.

Diese innere Absicht ergibt sich automatisch – naturnotwendig – aus der Tatsache der Gegenseitigkeit aller Komponenten eines Verbandes, der unter diesen Umständen der Rückkoppelungskausalität anheim gegeben ist. Das bevorzugte logische Konzept von selbstreferentiellen Regelkreisen, welche für die belebte Natur besonders von Bedeutung sind und in der Kybernetik und der Leittechnologie der modernen Menschheit den Prozessen der Regelung ihrer Belange zugrunde liegt. In dieser zentralen Funktion, dem Inbegriff des idealen Selbstverhältnisses des Systems, scheint das Ganze sich zu transzendieren. Dieser Gleichgewichtszustand, diese finale Ursache, die Übersumme, das Regulativ der Stabilität – der Identität – , diese Sollgröße, die Nullfunktion, welche umgekehrt – autokatalytisch – als harmonisierender Faktor, als Angelpunkt des Vorgangs auf die unterschiedlichen Positionen des Kollektivs maßgeblich wertend zurück wirkt; Dieses dreigliedrige Schema, welches zwischen den polaren Grenzen des Systems den Durschnitt ermittelt, die gemeinsame Absicht, die günstigste Energiebilanz, das egalisierende Moment, das die Interdependenz hervorruft, indem es in dieser Verfassung sein Selbst annimmt, das zeigt an, auf welche Art und Weise der Doppelsinn der Gegensätze von Gleich und Ungleich für die Mentalität des Menschen und ihr Medium von Belang ist; Welche proportionalen Verhältnisse zu den Abständen der harmonikalen Qualität der Stufen des Ganzen hingeführt hat.

In dieser objektivistisch-ästhetischen Gestalt des quantifizierten Farbgesetzes mit der entsprechenden inhaltlich thematischen Besetzung des bildnerischen Denkens und Handelns im Sinne des jüngsten Paradigmenwandels, lassen sich diejenigen Sinnbilder generieren, die dem Wesen nach „das Wahre, das Gute und das Schöne“ im Gestus dieser progressiven Denkungsart zum Ausdruck bringen. Dieses ästhetische Imperativ weist somit in seinen mustergültigen Ergebnissen affirmativ auf ein ethisches Sollen hin, wie der gesellschaftlich handelnde Mensch im aufgeklärten Anthropozän in Bezug auf die Natur und Seinesgleichen seinen hochgerüsteten Stoffwechselaustausch im Geiste der Nachhaltigkeit organisieren sollte.

Wie er seine derzeitige fatale Gefährdung durch sich selbst durch sein Herrschaftswissen in Form von struktureller Gewalt der objektiven Kenntnis der Naturgesetze zwecks Optimierung seiner Lebensumstände eine kongeniale ästhetische Norm des ganz anderen idealen Engagements – der Ausnahme der Kunst – entgegensetzen kann.

Dem Zwiespalt der relativistisch neutralisierten Beliebigkeit der Postmoderne soll mit dieser medialen Geistesgegenwart der Wahrheitskriterien der neuen Theorie ein verbindliches endogenes Schema aufgezeigt werden, das das dissoziierte Selbst- und Weltbild des modernen Menschen wieder zurück bindet an den Sinnzusammenhang einer in sich stimmigen Weltauslegung, die aufs Ganze geht, sodass sie an sich eine rekursiv ermittelte Übersumme, den ultimativen Angelpunkt, das höchste Gut, an sich realisiert und als rational begründbaren numinosen Kern versteht, der letztlich auch seinen religiösen Instinkt naturalistisch erklärt.

Eine Antwort auf diese Frage, die Hans Jonas sich gestellt hat: „Ob wir ohne Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen die am Gründlichsten durch die wissenschaftliche Aufklärung zerstört wurde, eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen, und dauernd hinzu erwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind.“1

Diesem Abenteuer einer zweiten Aufklärung der sinnlichen Vernunft, traut Peter Sloterdeyk eine metaphysische Kompetenz zu: „Philosophieren heute braucht die Ästhetik, um auf dem Umweg über ästhetische Theorie sagen zu dürfen, was sie sagen müsste, wenn es noch richtige Philosophie gäbe.“2

1 Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.57.

2 Sloterdeyk, Peter: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung, Suhrkamp, S.39.

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